BERICHT AUS DER ERSTAUFNAHMEEINRICHTUNG IN EISENHÜTTENSTADT

Geflüchtete finden Trost und Hoffnung in der Seelsorge

"Beim Namen nennen": Mehr als 44 Stunden lang wurden Namen von Menschen in der Kirche vorgelesen, die auf der Flucht ums Leben kamen. (Foto: JRS - Martina Schneider)
"Beim Namen nennen": Mehr als 44 Stunden lang wurden Namen von Menschen in der Kirche vorgelesen, die auf der Flucht ums Leben kamen. (Foto: JRS - Martina Schneider)

10.08.2022

Auf dem Gelände der Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt waren ab März vermehrt Menschen untergebracht, die aus der Ukraine geflohen sind. Dabei war ein Großteil von ihnen Drittstaatsangehörige: Geflüchtete, die ursprünglich aus anderen Ländern kommen, in der Ukraine jedoch einen Aufenthaltstitel hatten und dort sowohl lebten, als auch studierten oder arbeiteten. Schwester Regina Stallbaumer kümmert sich als Seelsorgerin in der Ersteinrichtung um die Geflüchteten und hat dabei besonders die Personengruppen im Blick, die eines erhöhten Schutzes bedürfen. Während die aufenthaltsrechtliche Situation der Ukrainer relativ gut wäre, sei die Situation der Drittstaatsangehörigen wesentlich unsicherer, sagt Sr. Regina Stallbaumer sa.
 

Frust und Verzweiflung durch ungleiche Behandlung

Im Gespräch mit der Seelsorgerin berichteten die Drittstaatsangehörigen oft von ihrer Frustration. "Viele von ihnen würden gerne ihr Studium in Deutschland fortsetzen. Dazu müssten sie jedoch Deutsch können und in der Erstaufnahmeeinrichtung sind die Möglichkeiten, um Deutsch zu lernen, sehr begrenzt", erklärt Sr. Regina Stallbaumer sa: "In der Regel ist die Anerkennung ihrer bisherigen Studienleistungen schwierig. Und sie haben meist nicht die notwendigen finanziellen Sicherheiten." Doch nicht nur die Perspektiven in der Bildung frustrierten die Geflüchteten, sondern auch die ungleiche Behandlung. "Drittstaatsangehörige, die in manchen anderen Bundesländern ankamen, hatten mehr Möglichkeiten . Gleichzeitig konnten die Geflüchteten hier aus Eisenhüttenstadt nicht einfach in ein anderes Bundesland weiterziehen", führt die Ordensfrau weiter aus: "Einige befanden sich in der absurden Situation, dass sie einen Aufenthaltstitel hätten beantragen können, wenn sie in eine andere Unterkunft in den Landkreisen verteilt worden wären – was jedoch nicht geschah – während dies in der Erstaufnahmeeinrichtung nicht möglich war." Sr. Regina Stallbaumer versucht immer wieder mit den Menschen ihre Ohnmacht auszuhalten, ihnen die Lage zu erklären und doch Spielräume auszuloten: Jede kleine Möglichkeit würde von vielen Menschen dankbar angenommen werden. "Ich hatte mit Menschen zu tun, die sehr motiviert waren, sich weiterzuentwickeln und sich einzubringen – und die gleichzeitig damit konfrontiert waren, dass sie trotz allem guten Willen und Bemühen nichts tun konnten, weil das System es nicht zuließ", bilanziert die Seelsorgerin die Situation der Drittstaatsangehörigen.

Sprachgrenzen werden beim Kreuzweg überwunden

Mittlerweile sind in der Erstaufnahmeeinrichtung wieder mehr Menschen aus anderen Ländern untergebracht. Sr. Regina Stallbaumer hat dabei auch immer wieder mit Gruppen zu tun, die sich für den christlichen Glauben interessieren. Manche von ihnen sind bereits konvertiert, andere möchten gerne mehr über das Christentum erfahren, sodass sie mit ihnen gemeinsam in der Bibel liest. "Manche Psalmworte halfen ihnen, eigene Erfahrungen zum Ausdruck zu bringen und sie mit ihrem Glauben in Verbindung zu bringen", sagt die Ordensfrau. Neben den Gesprächen werden auch Andachten und Gottesdienste angeboten. So wurde am Palmsonntag zusammen mit der Evangelischen Pfarrerin im Garten der Evangelischen Friedensgemeinde in Eisenhüttenstadt eine Palmsonntagsandacht mit Kreuzweg gestaltet. Sowohl Gemeindemitglieder, als auch Geflüchtete aus der Erstaufnahmeeinrichtung nahmen an der Andacht teil. "Große Bilder von den Kreuzwegstationen waren im Garten verteilt, so konnten alle den Kreuzwegstationen gut folgen und sprachliche Grenzen überwinden. Zusätzlich gab es Übersetzungen in mehreren Sprachen", erläutert Sr. Regina Stallbaumer den Ablauf: "Die Kreuzwegstationen erzählten die Passion Jesu und waren kombiniert mit Bildern von Händen, die verschiedene menschliche Erfahrungen zum Ausdruck brachten: gebundene Hände, zupackende Hände, haltsuchende Hände, helfende Händen, wegnehmende Hände, leblose Hände, hoffende Hände." Die Teilnehmenden konnten die Passionsgeschichte Jesu auf diese Weise gut mit den eigenen Erfahrungen in Verbindung bringen. Im Anschluss waren alle eingeladen, noch gemeinsam ins Gespräch zu kommen, Kontakte zu knüpfen und sich für weitere Treffen zu verabreden.

Verschiedene Arten von Händen: leblose, helfende, zupackende, ...

"Wir haben unsere Schuld und unsere Verantwortung bekannt"

Anlässlich des Weltflüchtlingstages fand am 20. Juni ein ökumenischer Gottesdienst in der evangelischen Passionskirche in Berlin zum Gedenken an die Verstorbenen auf der Flucht statt. Bereits am vorherigen Wochenende wurden in dieser Kirche in mehr als 44 Stunden die Namen von Menschen vorgelesen, die auf der Flucht ums Leben kamen. Außerdem wurden ihre Namen auf Papierstreifen geschrieben und in der Kirche aufgehängt. Der Gottesdienst bildete den Abschluss der Aktion, die den Titel "Beim Namen nennen" trug. Der Gottesdienst wurde von Sr. Regina Stallbaumer gemeinsam mit Vertretern der evangelischen Kirche, sowie der Caritas und der Gemeinschaft St. Egidio vorbereitet. "Wir haben verschiedene Geflüchtete in die Gestaltung miteinbezogen. Bei dem Gottesdienst haben wir Stimmen derer gehört, die die Flucht überlebt haben", sagt Sr. Regina Stallbaumer: "Drei Geflüchtete aus Burkina Faso, Afghanistan und der Ukraine gaben ein kurzes Zeugnis über ihre Erfahrungen auf der Flucht. Wir haben unsere Schuld und unsere Verantwortung bekannt angesichts des tausendfachen Sterbens und der anhaltenden Ausgrenzung von Geflüchteten. Wir haben die Namen der Toten vor Gott getragen und um sie getrauert." Zum Gedenken an die Verstorbenen zündeten die Gottesdienstbesucher Kerzen in großen Sandschalen an.

Impressionen Weltflüchtlingstag

Drei Menschen, drei Schicksale

Immer wieder führt Sr. Regina Stallbaumer Gespräche, die unter die Haut gehen. So sprach sie mit einer Frau, die in ihrem Herkunftsland beschnitten wurde und Gefahr lief, zwangsverheiratet zu werden. Die Frau war sehr gebildet und konnte sich nicht vorstellen, in einer Beziehung zu leben, in der sie davon ausgehen musste, unterdrückt und vergewaltigt zu werden. Sie hat die Flucht überstanden, doch ob sie in Deutschland bleiben kann, ist offen. "Das Asylverfahren zu durchlaufen ist nicht leicht. Im Gespräch mit mir konnte sich die Frau langsam wieder stabilisieren und etwas Hoffnung und Kraft schöpfen", sagt Sr. Regina Stallbaumer: "Gemeinsam haben wir geschaut, wo sie weitergehende Unterstützung finden kann. Ihr Gesichtsausdruck hatte sich etwas aufgehellt, als wir uns verabschiedeten." Sie erinnert sich auch an einen Mann aus dem Kongo, der über die Ukraine und Polen nach Deutschland kam. Während die Ukrainer die Grenze zwischen der Ukraine und Polen scheinbar problemlos überschreiten durften, wurde dies ihm und anderen Personen aus afrikanischen Ländern sowie dem arabischen Kulturraum verwehrt. Für ihn war es schmerzhaft zu erfahren, wie unterschiedlich Menschen je nach Herkunftsland behandelt werden. Seiner Gruppe blieb nichts anderes übrig, als sich drei Wochen lang zu Fuß durch Wälder zu schlagen - ein Kompass gab ihnen Orientierung. Sie hatten weder Nahrung noch Wasser und viele waren am Ende ihrer Kräfte angelangt, als sie von einer polnischen Nichtregierungsorganisation angetroffen und versorgt wurden. "Manche wollen nicht darüber reden. Diesem Mann hat es jedoch gutgetan, darüber sprechen zu können", bilanziert Sr. Regina Stallbaumer: "Es half ihm, manches zu verarbeiten." Ein anderer Mann wurde in seinem Herkunftsland politisch verfolgt. Er hatte sich in der Opposition engagiert und nahm an Protestmärschen gegen die Regierung teil. Nun wird er polizeilich gesucht. Die Zustände in Gefängnissen für politische Gefangene in seinem Herkunftsland sind schrecklich. Er muss mit Folter rechnen. Da ein Freund von ihm im Gefängnis zu Tode kam, fürchtet er sogar um sein Leben. Dennoch ist es offen, ob er in Deutschland bleiben kann. "Doch der Mann war dankbar für die Begleitung und die Unterstützung. Es hat ihm geholfen, ernst genommen zu werden und einige hilfreiche Hinweise für das Asylverfahren zu bekommen", sagt die Seelsorgerin in Eisenhüttenstadt.

(JRS - Stallbaumer/hes)