VOR DEM WERKSTATTGESPRÄCH "KIRCHE OHNE ILLUSIONEN"

Interview mit Msgr. Dr. Bredeck, Msgr. Austen und Prof. Loffeld

Das Werkstattgespräch "Kirche ohne Illusionen" findet am 25. und 26. November im Liborianum statt.

17.11.2022

Wenn eine neue Herausforderung ansteht, gibt es viele Möglichkeiten damit umzugehen. Resignieren. Grübeln. Aufbrechen. Es kann helfen, sich mit Menschen, die vor derselben Herausforderung stehen, auszutauschen. Und mit Menschen, die den Weg schon gegangen sind.

Um die neue Situation anzunehmen, als Christen in Deutschland in der Minderheit zu sein, bietet das Erzbistum Paderborn in Kooperation mit dem Bonifatiuswerk ein Werkstattgespräch an: "Kirche ohne Illusionen. Christentum in der Minderheit". Bei der Tagung am 25. und 26. November im Liborianum in Paderborn wechseln sich wissenschaftliche Vorträge und Erzählwerkstätten mit Profis aus der Pastoral ab. Dabei sind noch einige wenige Plätze für Teilnehmende frei. Zur Anmeldung

Einen der Vorträge hält Jan Loffeld , Professor für Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät in Utrecht. Er stellt die Frage: Welche Minderheit wollen wir werden? Um eine Antwort darauf zu finden, sprechen wir mit ihm und den beiden Initiatoren der Veranstaltung: Diözesanadministrator Msgr. Dr. Michael Bredeck und Msgr. Georg Austen, Generalsekretär des Bonifatiuswerkes .
 

Interview

Redaktion: Wir schalten uns per Videokonferenz zusammen. Aus welchen Welten kommen Sie gerade hier an?

Msgr. Dr. Michael Bredeck: Ich komme aus verschiedenen Telefonaten, die sich um Themen der Theologischen Fakultät drehen.

Msgr. Georg Austen: Beim Bonifatiuswerk planen wir gerade die große Vergabesitzung des Bonifatiusrates . Da stellen sich Fragen wie: Wie planen wir, in die Zukunft zu gehen? Wo wollen wir Akzente setzen? Wo wollen wir Personalstellen unterstützen?

Prof. Dr. Jan Loffeld: Ich hatte gestern einen Masterkursus an der Fakultät in Utrecht. Ich bin sehr begeistert vom Referat eines Studierenden, der christliche Spuren in Heavy-Metal-Songs gefunden hat. Es war genial, wie er seine Mitstudierenden immer wieder gefragt hat: Ist das Gnade? Erzählen Menschen davon, dass sie Gnade erleben?
 

Redaktion: Und: War das Gnade?

Loffeld: Das war unsere Diskussion: Wer entscheidet das, ob das Gnade ist? Kann Kirche das entscheiden? Der einzelne selbst? Überlassen wir das Gott?


Redaktion: Da sind wir bei unserem Thema. Wenn Christen in der Minderheit sind, stellt sich auch die Frage: Wer kann christliche Botschaften erkennen und verstehen?

Loffeld: Unsere Diskussion drehte sich eher um die Frage, was es bedeutet, dass Kirche keine Normen mehr setzen kann. Was sie sagt, wird nicht mehr einfach so akzeptiert. Deshalb muss Kirche eine neue Rolle in der Gesellschaft einnehmen.
 

Redaktion: Was könnte diese neue Rolle ausmachen?

Loffeld: Sich nicht zurückzuziehen, sondern konstruktiv zu sein. Sich zu fragen: Was ist in dieser Situation der Auftrag Gottes an uns? Es geht darum, die christliche Sendung in einer völlig anderen Gesellschaft zu leben.

Bredeck: Gleichzeitig erlebe ich auch, dass es widersprüchliche Erwartungen gibt. Am Samstag hat der Sozialwissenschaftliche Arbeitskreis getagt. Der berät den Erzbischof. Darin sind katholische Professoren und Juristen. Ihre Message war: Die Kirche muss viel stärker in die gesellschaftlich vorhanden Kanäle und Strukturen hinein. Man würde nach wie vor von der Kirche eine gewisse Orientierung erwarten.


Redaktion: Wie kann die Tagung "Kirche ohne Illusion" da Orientierung bieten?

Bredeck: Indem wir über die Situation reden, in der sich Kirche faktisch wiederfindet: Christen sind in der Minderheit in der deutschen Gesellschaft.

Austen: Und das kommt auch nicht erst auf uns zu. Da sind wir mittendrin.

Loffeld: Die vermeintliche Zukunft ist schon Gegenwart.

Bredeck: Die Frage ist: Welche Gestaltungspotentiale liegen darin? Diese Frage bereden wir bei der Tagung mit Menschen, die schon länger in dieser Minderheitensituation sind. Sie müssen sich nicht erst mühsam aneignen, als Christ in der Minderheit zu leben. Sie kennen das schon.
 

Redaktion: Ist der christliche Auftrag nicht derselbe, egal ob in Deutschland 20 Millionen oder 200.000 Katholiken leben?

Bredeck: Das ist natürlich so. Es geht darum, aus der Kraft des Evangeliums zu leben und sich in der Gesellschaft einzusetzen. Das sagt das Zielbild für das Erzbistum Paderborn. Aber: Das Entscheidende ist ja, ob ich es als befreiend oder belastend erlebe, in der Minderheit zu sein.


Redaktion: Und?

Austen: Die Diaspora-Situation ist weder Schreckgespenst noch Wunschvorstellung. Sie ist Wirklichkeit. Es gibt verschiedene Gesichter von Diaspora. Wir sehen nicht nur eine zahlenmäßige Diaspora, sondern auch eine Glaubensdiaspora in traditionell katholisch geprägten Gebieten. Menschen, die glauben und den Glauben in Gemeinschaft erleben, haben schon von Anfang an die Erfahrung gemacht, in der Minderheit zu sein.

Bredeck: Die Tagung kann helfen, die derzeitige Situation als Gestaltungsmöglichkeit zu sehen – und nicht primär als Verlust, der die Gestaltung erschwert. Weil das nicht so einfach ist, sind positive Beispiele aus der Diaspora so wichtig. Erfahrungen, wie es auch gehen kann.


Redaktion: Wo finden Sie diese Beispiele?

Loffeld: Im Westen der Niederlande, wo sich 80 Prozent der Menschen als nicht religiös bezeichnen, sind Pionierorte entstanden. Die Pionierorte sind Initiativen, die Menschen neben der klassischen Gemeinde gegründet haben. Jeder Pionierort ist anders. Manche arbeiten integrativ, andere setzen sich in der Nachbarschaftshilfe ein. Sie bieten auch Religiöses an wie Bibelkreise und Bibelteilen. Interessant ist, dass sie sehr realistische Visionen haben. Sie rechnen das Scheitern schon mit ein, haben sich aus manchen Stadtteilen auch zurückgezogen. Von daher sind die Pionierorte nicht nur Erfolgsgeschichten, sie reden nicht nur vom Wachsen. Sie nehmen die Krise wahr und schauen, wie sie das Neue darin sehen können. Auf diesen Erzählraum bin ich selbst sehr gespannt.

Austen: Ich bin sehr berührt von den Lazarusdiensten  aus Stralsund, wo sich nicht nur kirchlich Gebundene engagieren. Sie begleiten sterbende und kranke Menschen und ihre Familien. Eltern, deren Kind stirbt. Das finde ich eine ganz berührende und wertvolle Arbeit. Egal ob sie Christen sind oder nicht – sie leisten einen Grundvollzug des Glaubens. Und: Bei den Situationen, die sie erleben, kommen die Ehrenamtlichen auch immer wieder über Fragen von Glauben und Leben ins Gespräch.

Bredeck: Ich bin berührt von dem Beispiel, wie Pfarrer Ansgar Schocke und sein Team den Menschen im Dortmunder Norden helfen. Ich habe Pfarrer Schocke beim Tag des Pastoralen Personals in Dortmund erlebt. Mich hat berührt, wie er uns den Kirchenraum und die Umgebung erschlossen hat. Da spüre ich: Da ist jemand, der den Menschen, die da leben, etwas Gutes tut. Aus einer Zuversicht, Hoffnung, Glaubensüberzeugung heraus.


Redaktion: Vielen Dank für das Gespräch.

(pdp/mos)