HOCHALTARBILD DER ABTEIKIRCHE CORVEY IM MITTELPUNKT EINES THEMENABENDS
22.05.2025
Das neue Hochaltarbild der ehemaligen Abteikirche Corvey übersetzt die Osterbotschaft ins Heute und greift gleichzeitig Motive der christlichen Überlieferung auf. Den Künstler Thomas Jessen stellte der Schaffensprozess vor logistische, aber auch sportliche Herausforderungen: Als die katholische Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus Corvey das Ostermotiv in den Mittelpunkt eines Themenabends stellte, ließen theologische, kunsthistorische, aber auch ganz praktische Gedanken einen großen Zuhörerkreis mit dem modernen Gemälde Freundschaft schließen.
Gegenwartskunst in barockem Rahmen: Mit den Rottönen der formatfüllenden Mauerwand fügt sich das neue Hochaltarbild stimmig in den prachtvollen Kontext ein. Gleichzeitig rütteln Bildelemente wie die zeitgenössischen Figuren auf, eröffnen Diskursräume und regen damit automatisch auch zum Nachdenken über Ostern an. So wie der Schöpfer Thomas Jessen es bezweckt. Der Esloher Künstler will die Auferstehung Jesu, seinen Sieg über den Tod und die mit diesem zentralen Mysterium verbundene Hoffnung für uns Menschen auf ein ewiges Leben bei Gott ins Gespräch bringen.
Das 4,50 mal 3,10 Meter große Kunstwerk erfüllt diese Intention und schließt gleichzeitig auch eine Lücke. Denn es ersetzt das verschollene Ostermotiv des Corveyer Wandelaltars mit Schlüsselszenen des Neuen Testaments. Bei der Sprengung der nahen Eisenbahnbrücke durch Wehrmachtssoldaten am 7. April 1945 war die Auferstehungsszene wegen der gewaltigen Druckwelle regelrecht zerfetzt worden.
Dass im September 2024, also fast 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, das verlorene Osterbild neu zurückgekehrt ist, macht dieses Gemälde für den Generalsekretär des Bonifatiuswerks der deutschen Katholiken, Monsignore Georg Austen, auch zu einem Zeichen der Versöhnung. Dem Diaspora-Hilfswerk mit Sitz in Paderborn ist es initiativ und wesentlich mit zu verdanken, dass Jessens Kunstwerk im UNESCO-Weltkulturerbe Corvey – einem Ort mit 1200-jähriger Gebetstradition – aus dem Geist des 21. Jahrhunderts heraus den Kern des christlichen Glaubens ins Bild setzt.
"Für mich ist dieses Gemälde eine Verheutigung der österlichen Botschaft": Während Monsignore Austen beim Themenabend in der ehemaligen Abteikirche dieses Fazit zog, hatten die Zuhörenden das eigens angestrahlte Hochaltarbild an seinem exponierten Platz zwischen imposanten vergoldeten Spiralsäulen im Blick. Der Geistliche erschloss den Gästen das Kunstwerk und seine Bildsprache gemeinsam mit drei weiteren Referenten: Generalvikar Monsignore Dr. Michael Bredeck, Paderborn, Kunsthistoriker Professor Dr. Christoph Stiegemann, ebenfalls Paderborn, und Thomas Jessen selbst. Pfarrdechant Dr. Hans-Bernd Krismanek begrüßte die Vortragenden, die vielen Gäste in den Kirchenbänken und auch die das Musikprogramm gestaltenden Sängerinnen und Sänger unter Leitung von Hans Hermann Jansen.
Die erste Zuwegung zum neuen Hochaltargemälde erschloss Generalvikar Dr. Michael Bredeck den Gästen über die Theologie. Und untermauerte das Postulat Jessens, dass man Ostern nicht malen, sondern lediglich die Ostergeschichte (bildlich) erzählen kann. Denn die Schriften der Bibel tun auch nur letzteres, wie der Generalvikar erläuterte. "Das Neue Testament beschreibt den Vorgang der Auferstehung nicht, sondern setzt ihn als von keinem Menschen beobachtete und beeinflusste, alleinige Tat Gottes voraus." Alle Stellen im Neuen Testament, die von der Auferstehung Jesu berichten, seien schon aus der Perspektive des Glaubens geschrieben. Der konkrete Vorgang werde gar nicht thematisiert. "Christus ist einfach nicht mehr da." Das sage ein Engel den drei Marien, die am dritten Tag den Leichnam salben wollen und das leere Grab vorfinden.
"Die Auferstehung selbst wird nicht dargestellt, die Wirkungen der Auferstehung schon", resümiert der Generalvikar am Schluss seiner informativen und impulsgebenden Erläuterungen. "Das Bild von Jessen kann berühren und eine Erfahrung ermöglichen, die eben der Kern des Ostergeschehens ist. Eine Erfahrung, dass die lange Geschichte des Osterglaubens auch mich, hier und heute, erreichen, ergreifen, prägen und in Bewegung setzen kann." Das wünsche er möglichst vielen Betrachterinnen und Betrachtern.
In Bewegung gesetzt – und das im wahrsten Sinne des Wortes – hat die Botschaft der Auferstehung einen Glaubensboten aus der Gründungszeit des Klosters Corvey: Ansgar (801-865). Der Benediktinermönch habe das Christentum als einer der ersten Missionare systematisch weitergetragen – in den Norden Europas, sagte Monsignore Austen.
Die Nordeuropahilfe, die das Bonifatiuswerk seit 50 Jahren leistet, hat also ihre Wurzeln in der 822 gegründeten Benediktinerabtei am Weserbogen bei Höxter. Deshalb machte das Diaspora-Hilfswerk der Kirchengemeinde Corvey mit dem neuen Hochaltarbild ein besonderes Geschenk. "Dank zweckgebundener Spenden und dank der Unterstützung des Erzbistums Paderborn, der Kirchengemeinde und weiterer Förderer konnten wir als Bonifatiuswerk die Anschaffung des Werkes an diesem historisch so wichtigen Ort aus Anlass unseres Jubiläums ermöglichen", betont der Generalsekretär.
Beim Themenabend überreichte der Geistliche als Zeichen der Verbundenheit einen der von Jugendlichen des Kolping-Berufsbildungswerks Brakel für das Bonifatiuswerk angefertigten Pilgerstäbe. Diese sind, so Austen, auch ein Symbol für den "Aufbruch ins Jetzt", also die Aufgabe der Kirche, die gute Botschaft zu den Menschen zu bringen. So wie es Ansgar vor annähernd 1200 Jahren von Corvey aus getan hat.
Diese Gedanken noch im Kopf, präsentierte der ehemalige Direktor des Diözesanmuseums Paderborn und Ideengeber des Hochaltarbild-Projekts, Professor Dr. Christoph Stiegemann, auf einer großen Leinwand eine Überraschung: Der Kunsthistoriker hat nach langen und intensiven Recherchen eine Aufnahme des 1945 verschollenen Ostermotivs ausfindig gemacht. Sie stammt von 1901 und ist aus der Erdgeschosshalle des Westwerks heraus aufgenommen worden. Entsprechend klein ist der barocke Hochaltar samt Gemälde im Hintergrund zu sehen. Der herausvergrößerte Bildausschnitt mit dem Ostermotiv verrät daher überhaupt nicht viel, lässt nur sehr vage und schemenhaft den auferstandenen Christus, offenbar mit Siegesfahne, erkennen.
Schon allein aus dieser mehr als dünnen Erkenntnislage heraus sei klar gewesen, dass es bei einem neuen Osterbild nicht um eine Kopie des barocken Vorgängers gehen kann, sagte Professor Stiegemann. Nach aufschlussreichen Erläuterungen zum neuen Motiv, seinen Elementen und historischen Bezügen bekräftigte der Wissenschaftler das Fazit, das er am Ende von ihm getexteten, in der Kirche erhältlichen Broschüre zieht: "Mit dem großen Altarbild von Thomas Jessen erlebt die Osterbotschaft in Corvey auf fulminante Weise ihre Auferstehung." So wie es der Titel des Themenabends auf den Punkt bringt: "Wie Phönix aus der Asche".
Nach großen Botschaften und Gedanken wurde es dann ganz praktisch, als Künstler Thomas Jessen das Mikro ergriff. Anschaulich führte er vor Augen, welch große Herausforderung allein das gigantische Bildformat mit sich brachte. Dass es das ganze Atelier beanspruchte und ihn somit von anderen Projekten abhielt. "Das war eine harte Prüfung." Jessen kaufte sich, um zu arbeiten, ein kleines Gerüst. Und machte "jeden Tag Sport".
Irgendwann musste das vollendete Riesengemälde dann aber raus aus dem Atelier. Abspannen und zusammenrollen – anders ging es nicht. Der Rollenkern musste einen bestimmten Durchmesser haben. Auch galt es, dem Bild zunächst vier Wochen Trockenzeit zu gönnen.
Als es dann zusammengerollt zur Reise bereitlag, war der Künstler erleichtert. Endlich wieder Platz! Ein bisschen leer erschien ihm das Atelier aber dann doch, gab Jessen beim Themenabend freimütig zu. Pfarrdechant Dr. Hans-Bernd Krismanek hat das Bild zusammen mit Mitstreitern aus dem Esloher Atelier nach Corvey geholt. Die Hinfahrt war eine Zitterpartie: Hoffentlich reicht die Ladefläche! Das tat sie am Ende knapp: Die Rolle, also das Bild, "hätte keine zwei Zentimeter länger sein dürfen", sagt Dr. Krismanek. Punktlandung also. Und unvergessen.
Zuhause in Corvey folgte die nächste Herausforderung auf dem Fuße. Das Gemälde musste von vorne, also aus dem Chorraum der Kirche, an seinen Platz zwischen den Monumentalfiguren der Schutzpatrone Stephanus und Vitus gehievt und eingebaut werden. Auch der Spagat gelang – nicht zuletzt auch durch die Hilfe und den Sachverstand von Kirchenvorstandsmitglied Georg Pietsch, dem Thomas Jessen beim Themenabend von ganzem Herzen dankte.
Bei Georg Pietsch ist das neue Gemälde im routinierten Lauf des Wechsels der Motive in guten Händen. Der Tischler und Ingenieur hat für den Bildertausch eine fahrbare Wechselhilfe konstruiert. Diese kommt an Pfingsten wieder zum Einsatz. Dann wandert das Ostermotiv ins Magazin auf einer rückwärtigen bühnenartigen Empore in der Sakristei und macht Platz für die Pfingstszene.
Bis zu diesem Hochfest am 8. und 9. Juni können Gäste und Gottesdienstbesucher aber noch zu Thomas Jessens Gemälde hinaufschauen. Die Betrachtung beim Themenabend, so Pfarrdechant Krismanek, entfaltete im Sinne einer "Sehschule der Auferstehung" in eine große Impulskraft. Das Musikprogramm der Gregorianik-Schola Marienmünster-Corvey und des Ensembles "Cantus Novus" unter der Leitung von Hans Hermann Jansen trug zur besonderen Stimmung dieses Abends bei. Im Atrium des Westwerks war bei einem Getränk Gelegenheit zum Gedankenaustausch.
(Kirchengemeinde Corvey/Sabine Robrecht)