ZEUGNIS OHNE VIEL WORTE
20.02.2013
Mit einer Fördersumme von 30.000 Euro unterstützt die Diaspora- Kinder- und -Jugendhilfe des Bonifatiuswerkes die Suppenküche des Franziskanerklosters im Berliner Stadtteil Pankow. Wie die Arbeit der Ordensbrüder dort im Alltag aussieht, beschreibt Bonifatiuswerk-Pressesprecher Alfred Herrmann in nachfolgender Reportage.
»Das Essen schmeckt gut. Die geben sich hier echt Mühe.« Carsten P. schaut von seiner Kartoffel-Linsen-Suppe auf. Er habe endlich wieder eine Wohnung, erzählt der 29-Jährige zufrieden. Acht Jahre lebte er als Obdachloser auf den Straßen Berlins. Noch immer isst er fast täglich in der Suppenküche der Franziskaner.
Rund 300 Männer und Frauen kommen Tag für Tag in die Wollankstraße im Berliner Stadtteil Pankow, um sich wenigstens einmal am Tag satt zu essen. Carstens Lebensgeschichte handelt von einem hochmütigen Jugendlichen, der ausgebrochen ist. Von der Straße, die ihn reifer gemacht habe, von den Gefahren, die von Alkohol und Drogen ausgehen, von besoffenen, randalierenden Obdachlosen in Männerwohnheimen.
»Dort geben sich viele einfach auf«, weiß er. Er hingegen habe gekämpft. Aufgeben ist für Carsten keine Lebensoption. Als er bei einem Freund unterkommen konnte und für einige Zeit endlich wieder ein Dach über dem Kopf hatte, kam er zur Ruhe, hat sein Leben neu geordnet. Die Suppenküche in Pankow blieb ihm bis heute eine feste Lebensstütze, eine Anlaufstelle, die ihm Sicherheit gibt. »Ich kann keine großen Sprünge machen«, sagt Carsten.
Der große Essenssaal ist bis zum letzten Platz besetzt. Die Schlange an der Essensausgabe zieht sich durch den ganzen Raum. Vor der Tür warten weitere Frauen und Männer. Bruder Johannes gibt ihnen ein Zeichen, wenn sie sich anstellen dürfen. »Jeder muss in Ruhe essen können«, erklärt der 65-jährige Franziskanerbruder. Alles läuft ruhig und diszipliniert an diesem Mittag.
Seit nunmehr 21 Jahren kochen die katholischen Franziskaner für Obdachlose in Pankow. »Im Jahr 2011 gaben wir insgesamt mehr als 82.000 Mahlzeiten aus«, berichtet Bruder Johannes. Neben der Suppenküche betreiben die Franziskaner auf dem Klostergelände eine Kleiderkammer und eine Hygienestation mit Dusche und Waschmaschinen. Außerdem steht eine Sozialarbeiterin für Ratsuchende zur Verfügung.
Weder der Staat noch die Stadt Berlin helfen dem Orden bei der Finanzierung dieses umfassenden Angebots. »Wir leben alleine von Spenden: Lebensmittel, Kleidung und Geld.« Unterstützung erhält die Suppenküche vom Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken. Mit den 30.000 Euro des Diaspora-Hilfswerkes werden notwendige Grundnahrungsmittel wie Kartoffeln, Möhren, Hülsenfrüchte gekauft.
Die Suppenküche ist ein beredtes Zeugnis des christlichen Glaubens mitten in einer Stadt, in der über 70 Prozent der Bewohner keiner christlichen Konfession angehören. Sie ist ein greifbares Zeugnis des Glaubens mitten in der Diaspora.
Früh um sieben beginnt Fabian Frankes Tag in der Wollankstraße. Zunächst bereitet er die Küche vor. Dann fährt der 19-Jährige die Supermärkte ab, um Essensspenden zu sammeln. Überreifes Obst, abgelaufene Joghurts, zwei Tage altes Brot. Gestern gab es eine ganze Ladung tiefgefrorener Königsberger Klopse von einem Großhändler. Fabian hat im Sommer die Schule abgeschlossen und absolviert nun in der Suppenküche ein freiwilliges soziales Jahr. Jetzt, um halb elf, sitzt er mit Marie Reichert auf einer Bank. Zwischen Fabian und der 21-jährigen Studentin steht ein riesiger Topf, voll mit gekochten Eiern. Mit stoischer Ruhe schälen sie eines nach dem anderen, über 2.000 Stück.
»Mir ging es in meinem Leben bislang sehr gut, und ich habe gerade leicht mein Abitur gemacht«, meint Fabian, »jetzt möchte ich was zurückgeben«. Er sei nie bedroht gewesen, in solch eine Notsituation wie die Gäste der Suppenküche abzurutschen. »Es verändert mich, täglich die vielen Menschen zu sehen, die einfach zu wenig zu essen haben, und gleichzeitig am Hinterausgang des Supermarktes mitzubekommen, wie viele Sachen einfach weggeschmissen werden«, ist Fabian bestürzt. Marie habe in diesem Semester weniger zu tun, meint sie, »und da dachte ich, ich kann hier mithelfen«. Nun kommt die junge Katholikin immer donnerstags, schnippelt geduldig kiloweise Gemüse, schält unendlich viel Obst oder pellt eben Tausende Eier. »Anstatt gelangweilt zu Hause rumzusitzen, kann man die Zeit nutzen für Menschen, die sie brauchen«, sagt Marie ganz selbstverständlich.
In der Kleiderkammer steht Melchior Schäfer. Pullover, Hosen, Winterjacken, Unterwäsche, wie in einem Bekleidungsladen fühlt man sich in dem 80-Quadratmeter-Kellerraum. »Jeder bekommt das, was er nötig hat«, hat der 17-Jährige gelernt. Er macht ein dreiwöchiges Sozialpraktikum. Es sei Pflicht an seiner katholischen Schule, meint Melchior, sonst wäre er niemals hierhergekommen. »Die armen Leute verhalten sich meist sehr distanziert und schämen sich, dass sie arm sind«, hat er in den ersten zwei Wochen beobachten können. »Einigen ist es peinlich, von anderen gesehen zu werden, dass sie was brauchen.«
Rosi ist froh über die mehr als 40 ehrenamtlichen Helfer, die regelmäßig mit anpacken. Seit 20 Jahren kocht Rosemarie Skupin für mehr als 300 Menschen am Tag. Die staatlich geprüfte Meisterin in Gemeinschaftsverpflegung mag ihren Beruf in der Suppenküche: »Das Schöne ist, wir müssen kein Geld erwirtschaften.« Ihr Motto: »Man kann aus allem was machen« beschreibt die notwendige Kreativität, die die festangestellte Köchin braucht, um aus den täglich wechselnden Spenden etwas Ordentliches zu kochen. Ein besonderer Nebeneffekt ihrer Arbeit: Auf den Straßen Berlins ist sie bekannt wie kaum eine andere Frau der Stadt.
»Gott, komm unter uns und segne uns und diese Gaben«, betet Bruder Johannes. Um 12.45 Uhr stehen Männer und Frauen dicht an dicht im lichtdurchfluteten Essenssaal der Suppenküche und schauen auf den Franziskaner in seinem Ordensgewand. Es herrscht einen Moment ehrfürchtige Stille, als hielte die Welt einen Augenblick inne. Das Gebet von Bruder Johannes ist Ritual geworden, auch wenn die Mehrheit der Anwesenden keine Christen sind. Dann geht es los. Einer nach dem anderen bekommt aus den riesigen Töpfen einen Schlag Suppe in die Schale, zwei Brote, Obstsalat zum Nachtisch.
Auch wenn die Mehrheit der Anwesenden keine Christen sind: »Wir Franziskaner geben Zeugnis von unserem Glauben ohne viel Worte. Wir wollen keinen bekehren, sondern allein für den Menschen da sein.«
»Ich komme, weil das Geld nicht reicht. Die Kosten für Ärzte und Medikamente sind zu hoch für meine niedrige Rente«, begründet Wolfgang K. seinen Gang in die Suppenküche. »Arbeit krieg ich nicht mehr in meinem Alter«, sagt dagegen Bernhard V. Der 63-jährige Maurer lebt von Hartz IV. »Ich komme hierher, weil man beim Essen miteinander in Kontakt kommt. Allein essen ist nicht schön«, meint die 39-jährige Marlene K. Adrian B. pflichtet ihr bei: »Man kommt eher aus Einsamkeit. Man könnte sich auch zu Hause eine Büchse aufmachen.«
Obdachlos sind viele nicht mehr, die in die Suppenküche nach Pankow kommen. »Die Armut in der Großstadt sieht heute anders aus«, weiß Bruder Johannes. Einsame, psychisch Kranke, Migranten, Gescheiterte, die sich selbst aufgegeben haben, zählt der Ordensbruder auf. »Obdachlos sind sie nicht, aber sie stehen am Rande der Gesellschaft.« Und jeder habe seine eigene Geschichte, seine individuelle Not, die wahrgenommen werden möchte. Vor Gott zähle jeder Einzelne, das staatliche Sozialsystem dagegen generalisiere, die staatliche Hilfe reagiere zu unflexibel dafür, dass jeder Mensch anders sei. »Das sind doch Schicksale, wenn die Ehe zerbricht, keine Perspektive da ist, man körperlich und psychisch krank ist, das macht die Menschen kaputt.«
Bruder Johannes wirkt in der Suppenküche seit 15 Jahren. Warum er das mache? »Damit die Leute wach werden, dass es diese Armut gibt«, sagt er bestimmt. Und: Es sei Auftrag des heiligen Franziskus, für die Armen da zu sein. »Wir Franziskaner geben Zeugnis von unserem Glauben ohne viel Worte. Wir wollen keinen bekehren, sondern allein für den Menschen da sein.«
(Alfred Herrmann)