EIN NEUES LEBEN AUF DER FAZENDA DA ESPERANÇA

"Gamechanger" in der Suchthilfe

Kaffeepause beim Arbeiten in der Fazenda. (Foto: Markus Nowak)
Kaffeepause beim Arbeiten in der Fazenda. (Foto: Markus Nowak)

26.05.2025

Herzliche Umarmungen, mal ein "High Five", einer fragt: "Na, wie läuft’s?", ein anderer sagt: "Schön, dich wiederzusehen". Wenn Joshua Schubert einmal im Monat auf den Hof Gut Neuhof fährt, dann ist das für ihn wie ein besonderes Ereignis. Es ist die Rückkehr an den Ort, wo er zwei nicht immer leichte Jahre verbracht hat, aber schließlich sein Leben ins Positive verändern konnte. "Es fühlt sich an, als wenn ich nach Hause komme. Man fühlt sich direkt wohl."

Der 26-Jährige geht dann in den Stall, in dem er lange Zeit gearbeitet hat und schaut sich die Fütterung der Mastschweine an. Danach geht es zur Kaffeepause, bei der der eine oder andere Plausch mit den heutigen Bewohnern gehalten wird. Und am Nachmittag nimmt er in der Kapelle die Gitarre in die Hand und begleitet den Gottesdienst. Der Hof liegt etwa eine Autostunde in nordwestlicher Richtung von Berlin entfernt. "Aktuell leben hier zehn ehemalige Drogenabhängige, Alkoholiker und Strafgefangene, die mindestens zwölf Monate bei uns sind und den Weg der Rekuperation machen", erklärt Pater Christian Heim, der Leiter der Fazenda Gut Neuhof.

Einblicke in die Fazenda

Erfolgreiche Hilfe zur Selbsthilfe

Joshua ist ein sogenannter Rekuperant der Fazenda Gut Neuhof. "Das Wort Rekuperation stammt aus dem Lateinischen und bedeutet sich wiederfinden, wiedergewinnen", sagt Pater Christian Heim. "Wir bieten Hilfe zur Selbsthilfe." Mit Gemeinschaft, Arbeit und Gebet könnten die jungen Menschen auf der "Fazenda da Esperança", Portugiesisch für "Hof der Hoffnung", einen Weg zurück ins eigene Leben finden. Wie in einer Familie zu leben, sei einer von vielen Unterschieden zu einer klassischen Suchttherapie, in der für gewöhnlich eine professionelle Distanz gewahrt werde.

"Jedes Mal, wenn jemand geht, dann gehe ich auch ein Stück mit", sagt der Geistliche. Aber der Aufenthalt basiere nun mal auf Freiwilligkeit. Auf die Frage, ob die Abbrecher von der Arbeit auf dem Hof abgeschreckt werden, antwortet er:"Wir versuchen von unserer Hände Arbeit zu leben." Der Eigenbedarf an Obst und Gemüse werde zum Großteil durch den eigenen Anbau gedeckt. Und die verschiedenen selbstgemachten Produkte wie Marmeladen oder Kräutersalben würden verkauft. "Der gesamte Tag ist von morgens bis abends gerade auch mit körperlicher Arbeit durchgetaktet", sagt der Geistliche. "Manche sagen, das ist fast wie im Kloster. Ora et Labora, beten und arbeiten. Man muss sich wirklich darauf einlassen wollen."

Diese Einsicht hatte Joshua leider erst spät, wie er selbst sagt. Mit dreizehn Jahren hat er damit begonnen, Alkohol zu trinken. Damals war er "nur der lustige Joshua, der meistens betrunken ist", sagten andere über ihn. Irgendwann kamen andere Drogen hinzu. Mehrere Jahre versuchte er, seine Sucht zu bekämpfen. Er absolvierte drei Entgiftungen, es folgte eine Langzeittherapie – alles erfolglos. Dann hörte er von der Fazenda. Da war er zwanzig Jahre alt. Anfangs schreckten ihn die strikten Regeln ab, erzählt er. Kein Rauchen, kein Handy, kein Internet, kein Fernsehen. "Ich dachte mir, nein, so süchtig bist du noch nicht." Es dauerte danach noch ein ganzes Jahr, bis er den Schritt wagte und in die Fazenda einzog.

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Mit Verantwortung aus der Krise

Die Übernahme von Verantwortung auf dem Hof, zum Beispiel für die Tiere, sei es gewesen, die in ihm wieder die Lebensfreude weckte. "Der Anfang ist schwer, aber dann denkt man, komm, drei Monate ziehe ich durch und dann gehe ich. Und dann sagt man sich, sechs Monate und mehr." Ein Leitsatz hat Joshua in dieser Zeit immer begleitet: "Im Kleinen treu sein." Denn nur wer im Kleinen treu sei, könne es auch im Großen sein, sagt er. Er verlängerte seinen Aufenthalt um ein zweites Jahr, weil er für die anderen "Brüder", die noch am Anfang des Weges standen, da sein wollte. "Brüder", so bezeichnen sich die Männer untereinander.

Ein Feuer sei in ihm entfacht worden, das er an die anderen Rekuperanten weitergeben wollte, so beschreibt es der heute 26-Jährige. Sein Wunsch, mit anderen Menschen zu arbeiten, bewog ihn später zum Studium der Sozialarbeit. "Ich will das machen, was ich hier entdeckt habe", sagt Joshua. Pater Christian Heim ergänzt: "Wenn du dieses Feuer in dir entdeckst und merkst: Ey, ich brenne dafür, dann kommt automatisch, dass man es weitergeben möchte." Das beschreibe für ihn symbolisch das gesamte Konzept und die Geschichte der Fazenda-Idee.

Vor mehr als 40 Jahren in Brasilien gegründet, um Straßenkindern einen Weg aus dem Drogenkonsum aufzuzeigen, entstanden im Laufe der Zeit weit über 160 Fazendas in mehr als 20 Ländern. Ab 1998 mit dem Gut Neuhof dann auch in Deutschland: Nur 30 Kilometer nördlich von Berlin gelegen, war der Hof zu DDR-Zeiten eine landwirtschaftliche Produktionsgemeinschaft, später heruntergewirtschaftet und danach eine illegale Mülldeponie. Gerade auch mit Hilfe der Rekuperanten wurde das Anwesen saniert und erweitert. Heute werden dort Tiere gezüchtet und Obst und Gemüse angebaut, Gruppen- und Erholungssuchende können in einem der Gästezimmer übernachten und sonntags öffnet sich die Gemeinschaft mit dem Hofcafé auch für Ausflügler.

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Fazendas: "Erfolgsrezept" aus Brasilien

Manchmal bedient Maximilian die Gäste auch im Café. Derzeit ist er für die Küche verantwortlich. Der 28-Jährige kam mit dem Gesetz in Konflikt. Grund waren Drogendelikten und Körperverletzungen. Ein Richter entschied, dass er eine Therapie machen sollte statt ins Gefängnis zu gehen. Es ist Maximilians zweite Rekuperation. Schon vor sechs Jahren verbrachte er neun Monate auf dem Hof. Damals hatte er nicht die "Reife für den Veränderungsprozess", erinnert er sich heute. "Ich bin dankbar für die zweite Chance, denn jetzt will ich einfach mein Leben verändern", sagt der 28-Jährige, dessen Körper mit zahlreichen Tattoos versehen ist. Elf der zwölf Monate hat er bereits hinter sich gebracht. Nach der Fazenda-Zeit möchte er in Brasilien an einer Missionsschule arbeiten.

Auch dem Bonifatiuswerk ist es sehr wichtig, jungen Menschen, die es nicht leicht hatten in ihrem Leben, neue Perspektiven zu geben. "Wir unterstützen die Fazenda daher bereits seit ihrer Gründung 1998. Auch Firmbewerberinnen- und bewerber unterstützen mit der diesjährigen Firm-Aktion unter dem Motto 'Mithelfen durch Teilen' zum Beispiel diese Einrichtung. Es ist ein wertvolles und ermutigendes Zeichen für all jene Menschen, die sich nach einem gelingenden Leben sehnen", sagt Bonifatiuswerk-Generalsekretär Monsignore Austen.

Zur Rekuperation gehört auch die christliche Spiritualität. Ihr Kern ist die konkrete persönliche Erfahrung der Liebe Gottes durch das gelebte Evangelium, heißt es dazu im Therapiekonzept der Fazenda. Täglich spricht die Gruppe über einen Vers aus der Bibel, regelmäßig werden Gottesdienste angeboten. "Es geht auch um Glaubensfindung", sagt Pater Christian Heim. "Der Glaube hilft, weiterzukommen, eine Richtung für sein Leben zu finden." Erst kürzlich haben sich zwei Rekuperanten taufen lassen. "Ich wäre ja kein katholischer Priester, wenn ich mich darüber nicht freuen würde, wenn jemand anklopft und sagt, ich möchte dabei sein und Christ werden", sagt der Geistliche. "Ich glaube, Gott formt die Menschen hier. Wir geben nur einen Rahmen und eine Struktur. Und wenn sich der Mensch dafür entscheidet, dann dürfen wir beobachten, wie auf einmal ein Feuer angeht und wie sich Stück für Stück etwas in seinem Leben verändert."

(markus nowak)