ZUR PERSON

Generalsekretär Msgr. Georg Austen

Generalsekretär Monsignore Georg Austen

INTERVIEW ZUR DIASPORA-AKTION 2024: Erzähle, worauf du vertraust.

"Manchmal entdeckt man erst im Rückblick lebenslanges Vertrauen“

Monsignore Georg Austen, Generalsekretär des Bonifatiuswerkes der deutschen Katholiken, über Vertrauen, 175 Jahre Bonifatiuswerk, den bundesweiten Diaspora-Sonntag am 17. November und darüber, warum Gott keine Jukebox für das Leben ist.


Die Diaspora-Aktion 2024 des Bonifatiuswerkes steht unter dem Leitwort: „Erzähle, worauf du vertraust.“ Warum haben Sie dieses Leitwort gewählt?

Monsignore Austen: "Vertrauen gehört zu den kostbarsten Ressourcen der Welt. Ohne Vertrauen kann keine stabile Beziehung wachsen. Als Christinnen und Christen ist dies die Basis für unsere Glaubensgemeinschaft. Und gerade in dieser Zeit der Krisen und Kriege braucht unsere Welt und Kirche solche Menschen, die davon erzählen, was ihnen Halt, Orientierung und Kraft gibt; worauf Sie bauen und vertrauen, worauf Verlass ist. Dies gilt besonders für Gläubige, die in der Diaspora, in der Vereinzelung ihren Glauben leben. "

Was bedeutet „Vertrauen“ für Sie?

Austen: "Vertrauen ist keine reine Gefühlssache – es basiert aus meiner Sicht auf Erfahrungen, hat immer ein Risiko und ist daher fragil. Man entscheidet sich bewusst dazu, auf etwas oder jemandem zu vertrauen, Vertrauen kann nicht gekauft und erzwungen werden. Aufrichtiges Vertrauen traut dem anderen etwas zu und baut Ängste ab; es lässt aber auch Fragen und Zweifel zu. Da es in der Begegnung geschieht, kann es natürlich auch Fehleinschätzungen geben. Aber nur Verlässlichkeit schafft Vertrauen. Ich vertraue darauf, dass ich mich dem anderen aussetzen kann und mein Vertrauen nicht missbraucht wird. Das ist aber kein blindes Vertrauen. Letztlich vertraue ich im Leben darauf, dass da jemand ist, von dem ich mich bedingungslos erkannt, ohne Leistung anerkannt und geliebt fühle, ohne dass ich ständig auf mich aufmerksam machen muss.

Welche Rolle spielt Vertrauen im Glauben?

Austen: "In Koiné, der griechischen Sprache des Neuen Testaments, ist das Wort für Glauben mit dem für Vertrauen – „pistis” – identisch, beides braucht und ergänzt einander. Es geht um die innere Gewissheit, dass dieser Gott der Liebe, der in Jesus Christus ein Gesicht bekommen hat, uns Hoffnung und Zukunftsvertrauen gibt. Das bedeutet nicht, dass wir einen Hochglanz-Glauben haben: Gott ist kein Wunscherfüller und keine Jukebox für das Leben. Die Geschichte des Gottglaubens beinhaltet von Anfang an auch Enttäuschung, Brüche sowie Klagen und Weinen. In diesen Situationen begegnet man Gott und sie lassen einen – manchmal erst im Rückblick – lebenslanges Vertrauen entdecken. Glauben ist auch ein Ringen mit Gott, und wir brauchen diesen kritischen, ungesättigten Glauben."

Die Zahl der Kirchenaustritte ist weiterhin hoch, für viele spielt noch immer ein Vertrauensverlust eine Rolle. Wie kann Kirche Vertrauen zurückgewinnen? Wie sollten wir Menschen begegnen, die aus der Kirche ausgetreten sind?

Austen: "Wir sollten diesen Menschen mit Respekt und Sensibilität begegnen, nicht trotzig oder beleidigt. Denn hinter jeder Entscheidung und jeder Zahl steckt ein Mensch mit seiner Lebens- und Glaubensbiografie, dem wir auf Augenhöhe begegnen sollten. Diese Menschen haben etwas zu sagen, das sich lohnt wahr und ernst zu nehmen. Vielleicht ist auch ein Dialog möglich über die Fragen „Wem vertraust du auf deinem Lebensweg?“ oder „Was gibt dir Halt und Orientierung?“. Wir sollten in solche konstruktiven Dialoge einsteigen, ohne fertige Lösungen zu erwarten, und nicht müde werden, den Glauben an Gott und eine gute Zukunft sowie den Wert einer Glaubensgemeinschaft immer wieder neu ins Gespräch zu bringen. Als Kirche sollten wir den Menschen etwas zutrauen, denn nur dann kann ich erwarten, dass man ihr vertraut. "

In vielen deutschen Bistümern ist Diaspora längst Alltag. Was bedeutet das für die Arbeit des Bonifatiuswerkes?

Austen: "Als „Hilfswerk für den Glauben und der Solidarität“ ist das Bonifatiuswerk herausgefordert, katholische Christen in ökumenischer Verbundenheit zu unterstützen. Wir möchten Zugänge zu den Inhalten christlichen Glaubens schaffen, so dass Christen ihr religiöses Handeln vor sich selbst und anderen begründen können. Unser Anliegen ist es, zu befähigen, im Dialog mit Andersdenkenden und -glaubenden sowie Nichtglaubenden den eigenen Glauben zur Sprache zu bringen. Wir möchten Impulsgeber sein sowie Glaubensbildung und Gemeinschaftserfahrung ermöglichen, um so Netzwerke zu stärken. Darüber hinaus gilt es, das Evangelium zeitgerecht in das „Jetzt“ zu transformieren und natürlich auch karitative sowie soziale Projekte in der internationalen Zusammenarbeit im Rahmen unserer Möglichkeiten zu unterstützen."

Das Bonifatiuswerk feiert in diesem Jahr seinen 175. Geburtstag. Was bedeutet dieses Jubiläum?

Austen: "Zunächst einmal spreche ich unseren Spenderinnen und Spendern, Förderern und Freunden unsere große Dankbarkeit für das Interesse, Gebet und die finanzielle Unterstützung aus. Sie haben in den vergangenen 175 Jahren unzählige Projekte, die den Menschen zugutekamen, ermöglicht. Ebenso gilt es den hauptberuflich und ehrenamtlich Engagierten vor Ort, in den Gremien und im Bonifatiushaus für ihren Einsatz und ihr Glaubenszeugnis – oft auch in schwierigen Situationen – zu danken. Die katholische Kirche in Deutschland und Europa befindet sich in einem fundamentalen Transformationsprozess; wir stehen vor den Fragen: Welche Gestalt unserer Kirche können und wollen wir fördern? Welche Form von Diaspora begegnet uns heute? Wie können wir transparent, professionell, zuverlässig und vertrauenswürdig, neue Mitglieder und Mitgliederinnen für die Arbeit des Bonifatiuswerkes erreichen? Die Arbeit des internationalen Hilfswerkes ist nach 175 Jahren noch nicht zu Ende, es liegt im Gegenteil weiterhin sehr viel Arbeit vor uns."

Was ist das Beispielprojekt der Diaspora-Aktion in diesem Jahr? Und was ist das Besondere an ihm?

Austen: "Das neue Hospiz „Mutter Teresa“ in Heilbad Heiligenstadt ist das diesjährige Beispielprojekt der Diaspora-Aktion. Es wurde bewusst nach Mutter Teresa benannt und möchte dem Prinzip der uneingeschränkten Nächstenliebe folgen. Das Caritashospiz bietet Platz für 13 Menschen, die bis zum Lebensende in Selbstbestimmung und Würde leben wollen. Es gewährleistet medizinische und pflegerische Unterstützung im 24-Stunden-Rhythmus, was im eigenen familiären Umfeld oft nicht möglich ist. Nicht nur die Gäste, sondern auch die Angehörige werden vom Einzug bis über den Auszug hinaus durch Gespräche und im Gebet begleitet, um so dem Gefühl der Ohnmacht entgegenzuwirken, das die schockierende Diagnose „unheilbar krank“ verbreitet."

Das Interview führte Simon Helmers.

weitere Interviews:

Interview zur Diaspora-Aktion 2024

Interview zur FIRMAKTION 2024

Interview zur Erstkommunion 2024

 

ZUR VITA

Werdegang von Msgr. Georg Austen

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Georg Austen wuchs in Brenken, einem Ortsteil der ostwestfälischen Stadt Büren, auf. Nach seinem Abitur im Jahr 1978 am Mauritius Gymnasium in Büren studierte er Katholische Theologie in Paderborn und München. Anschließend absolvierte er in den Jahren 1985 und 1986 sein Diakonat in der Gemeinde St. Johannes Baptist und in der Justizvollzugsanstalt in Herford. Am 16. Mai 1986 empfing er in Paderborn das Sakrament der Priesterweihe. Anschließend war er als Vikar in der Pfarrei St. Marien in Fröndenberg, als Pfarradministrator in der Kirchengemeinde St. Johannes Baptist in Siddinghausen und in der Kirchengemeinde St. Michael in Weine eingesetzt.

Zudem war er Diözesanpräses der Katholischen Landjugendbewegung und von 1996 bis 2002 Diözesanseelsorger des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend im Erzbistum Paderborn sowie Studentenpfarrer und Leiter der Katholischen Hochschulgemeinde in Paderborn.

Als Sekretär des XX. Weltjugendtages der Deutschen Bischofskonferenz in Köln war Austen in den Jahren 2002 bis Juli 2006 maßgeblich an der Vorbereitung des katholischen Großereignisses im Jahr 2005 beteiligt. Er verantwortete die pastorale Vor- und Nachbereitung des Weltjugendtages, die Tage der Begegnung mit dem Tag des sozialen Engagements in allen deutschen (Erz-)Bistümern, das Kultur- und Jugendfestival beim Weltjugendtag in Köln sowie den Pilgerweg des Weltjugendtagskreuzes durch Europa und Deutschland.

Im Anschluss an den XX. Weltjugendtag verbrachte Austen für persönliche Fortbildungen einige Monate in New York City und in Schweden. Nach seiner Rückkehr wurde er im selben Jahr Geschäftsführer der Steuerungsgruppe "Perspektive 2014" im Erzbistum Paderborn.

Seit März 2008 ist Georg Austen Generalsekretär und Hauptgeschäftsführer des Bonifatiuswerkes der deutschen Katholiken sowie Geschäftsführer des Diaspora-Kommissariates der deutschen Bischöfe/Diasporahilfe der Priester. Seine zweite Amtszeit begann am 1. März 2014. Im Jahr 2019 wurde Austen für weitere sechs Jahre im Amt bestätigt. Die dritte Amtszeit begann am 1. März 2020. 

Im Mai 2008 ernannte Papst Papst Benedikt XVI. Austen zum päpstlichen Ehrenkaplan (Monsignore) und berief ihn im Dezember 2011 ins Konsultoren-Kollegium des Päpstlichen Rates zur Förderung der Neuevangelisierung. Austen ist Berater in der Unterkommission für Missionsfragen der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz, Mitglied in der Konferenz Weltkirche sowie im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK).

Austen engagiert sich für den Dialog und die solidarische Zusammenarbeit in der Weltkirche sowie für Randgruppen, beispielsweise in der Gefängnisarbeit, und setzt sich für junge Menschen ein. Hierfür gründete er 2011 die „Georg Austen Stiftung Solidarität“ mit der Zielsetzung Werte zu vermitteln, den Glauben zu entdecken und die Persönlichkeit zu fördern. Durch entsprechende Projektförderung soll Kindern und Jugendlichen geholfen werden, ihr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu stärken, Lebenskrisen zu überwinden, den Sinn für solidarisches Handeln zu fördern und nicht zuletzt, eine Orientierung und Zuversicht aus dem christlichen Glauben zu erfahren.

Im Heiligen Jahr der Barmherzigkeit ernannte Papst Franziskus am 10. Februar 2016 Austen zum "Missionar der Barmherzigkeit".

Austen ist es ein wichtiges Anliegen – in Kooperation mit nationalen und internationalen Künstlern und Veranstaltern von Großereignissen – Berührungspunkte mit Themen der Kunst, der Kultur und der Kirche zu schaffen, um so auch einen Dialog mit Andersdenkenden und -glaubenden anzuregen. So konnten bereits bundesweite Konzertreihen, Benefizveranstaltungen, Buchprojekte und Kunstausstellungen organisiert werden. Die Erlöse kommen sozial-caritativen Projekten zugute. In den Jahren 2017 und 2018 konnten zwei Kunstausstellungen unter dem Titel "Udos 10 Gebote" mit Bildern des Sängers Udo Lindenberg in der Gaukirche in Paderborn und in der Überwasserkirche in Münster realisiert werden. In Kooperation mit Michael Patrick Kelly kam es zu zwei Konzertreihen ("Agape-Tour" im Jahr 2012 und "Ruah-Tour" im Jahr 2016) durch mehrere Kirchen und Dome im deutschsprachigen Raum. Außerdem gab es im Jahr 2022 eine gemeinsame Ausstellung vom Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken und Michael Patrick Kelly in der Paderborner Gaukirche. Gezeigt wurden die Friedensglocke #Peacebell, die Kelly aus Kriegsschrott geschmiedet hat sowie Fotografien und gemalte Bilder. Im Zuge der Nikolausaktion des Bonifatiuswerkes unter dem Titel "Weihnachtsmannfreien Zone" gibt es seit vielen Jahren eine enge Zusammenarbeit mit der Sängerin Maite Kelly. Zu weiteren Kooperationen kam es unter anderem mit der Sängerin Kathy Kelly, dem Tenor Juan del Bosco und der Gospelsängerin Carla A. Harris aus New York, der Sängerin Judy Bailey, der Straßenmusikerin Simone Oberstein und der Rügener Künstlerin Sylvia Vandermeer.

Im April 2023 berief ihn Papst Franziskus als Konsultor (Berater) in das neugegründete Dikasterium für die Evangelisierung in der römischen Kurie, wo Georg Austen in der Abteilung für Grundfragen der Evangelisierung in der Welt tätig werden soll.

 

KURZ NACHGEFRAGT

bei Monsignore Georg Austen

Als Generalsekretär des Bonifatiuswerkes ist es mein Anliegen …

… gemeinsam mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazu beizutragen, Gott in der Welt einen Ort zu sichern und dem Glauben an ihn Räume zu öffnen. Denn: Keiner soll alleine glauben.
 

Unter "Diaspora" verstehe ich …

… eine Kirche von innen für draußen, eine Kirche die alle Christinnen und Christen – egal wo – in den Blick nimmt, damit sie auskunfts- und dialogfähig gegenüber Andersdenkenden und –glaubenden sind.
 

Missionare des 21. Jahrhunderts – das sind für mich …

… Menschen, die aus dem christlichen Geist heraus heraus die Welt aktiv mitgestalten und für ihre Überzeugungen einstehen, aber auch Grenzgänger und Wegbereiter sind.
 

Wenn ich an die Kirche von morgen denke, dann …

… hoffe ich, dass bei allen Veränderungen und Strukturfragen immer die Pastoral und die Sorge um die Menschen im Vordergrund stehen und damit die Botschaft Jesu als „Frohe Botschaft“ erfahren wird. Eine Kirche die als Weltkirche denkt und sich für die Bewahrung der Schöpfung, Gerechtigkeit und Menschenwürde wie für den Frieden einsetzt.
 

Meine liebste Bibelstelle lautet…
 

… „Wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit.“ (2 Kor 3,17).
 

Eigenschaften, die ich besonders schätze, sind…
 

…Verlässlichkeit und Ehrlichkeit.
 

Sprachlos machen mich…

… Kleingläubigkeit, Unflexibilität und Situationen, die erdrückend und belastend für Menschen sind und die auf den ersten Blick nicht verändert werden können.
 

Ich könnte nicht leben ohne…

… Beziehungen zu lieben Menschen und ohne eine Orientierung aus dem Glauben für mein Leben.